Nachdenken über Wabi Sabi

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Neulich regten mich ein Beitrag bei LinkedIn und die Diskussion darunter indirekt dazu an, noch einmal über Wabi Sabi nachzudenken. Der Verfasser eines Kommentars, Dejan KOSMATIN, nannte Wabi Sabi „die japanische Philosophie, die Schönheit im Einfachen, Vergänglichen und Natürlichen sieht“. So ähnlich hatte ich es bislang für mich auch immer formuliert. Inzwischen aber würde ich es als „lebendige Schönheit“ bezeichnen.

Das Natürliche, Einfache und Vergängliche wird oft kunstvoll inszeniert für den Eindruck von Wabi Sabi. In „Das Buch vom Tee“ von Kakuzo Okakura, findet sich eine Geschichte, in der der Sohn eines Teemeisters den Auftrag bekam, den Weg zum Teehaus zu säubern. Der Sohn hatte gut zu tun, um den Weg perfekt zu reinigen und wurde am Ende doch gescholten. Erst dann nämlich war es perfekt, als von einem Baum ein paar bunt leuchtende Herbstblätter auf den gesäuberten Weg geschüttelt wurden, als hätte der Wind sie dorthin geweht.

Ist man in Japan durch die Natur zu den Tempeln unterwegs, ist diese Philosophie hinter der ästhetischen Erscheinung überall spürbar. Jemand hat versucht Einfluss zu nehmen, ohne eigentlich Einfluss zu nehmen, auf eine zarte Art.

„Lebendige Schönheit“ nenne ich Wabi Sabi deshalb, weil gerade das als schön gilt, was die Zeichen der Zeit und der natürlichen Rhythmen trägt (Patina, Moos, Witterungsspuren), das, was eine Geschichte hat und diese Geschichtlichkeit zur Schau stellt.

Wenn in Bezug auf Kintsugi von Wabi Sabi gesprochen wird, ist es für mich nicht das Gold oder Silber, sondern die Landschaft, die von der Versehrtheit in ein Stück gezeichnet wird. Als Kintsugi-Künstlerin versuche ich mich in das Stück und seine Landschaft einzufühlen und mich so gestalterisch in ein neues Ganzes einzuordnen.

Gestern berührte mich eine Besucherin in meiner Werkstatt, weil sie genau das an meinen Objekten wahrnahm, dieses Miteinander zwischen den Dingen und mir.

Tatsächlich entstehen manche meiner Stücke auch nur deshalb, weil sich ein Stück in ein anderes hineinschmiegen zu wollen scheint, so wie hier die Buchenschuppe in das Moosstück. Ich nenne es deshalb „Sehnsucht“. Durch die Buchenschuppe hat ein Wesen (ein Käfer?) seine Bahnen gezogen. Ich habe diese Landschaft mit Gold und poliertem Schwarzlack (Roiro Urushi) nur betont. Der Untergrund besteht aus Brennnesselpapier, das ich grundiert, mit einigen Schichten Schwarzlack aufgebaut und schließlich poliert habe. Die Brennnesseln für das Papier erntete ich vor zwei Sommern nur wenige Meter von meiner Werkstatt entfernt und verarbeitete sie mit Wasser und Sonne zu Papier. Auch das Moosstück (konserviert mit Glyzerin) und die Buchenschuppe fand ich im Waldstück nah beim Haus, ganz unabhängig voneinander. Nun sind sie vereint, in einem neuen Zusammenhang. Für mich sind sie lebendig.

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